„Ich bin eine Konstante“
Zitty Interview Autor – Bettina Homman, 2014

Seit 30 Jahren betreibt Schmuck-Designerin Barbara Kranz ihr Laden-Atelier RIO in der Bleibtreustraße. Das Foto von der Eröffnung ist schon leicht vergilbt. Ein altmodischer Ladentisch mit Glasplatte. Gladiolensträuße, die in Vasen auf dem Boden stehen. Und Barbara Kranz, die damals, am 4.August 1984 27 Jahre alt ist. Sie trägt die üppigen Haare modisch kurz geschnitten, so dass die Ohrringe gut zur Geltung kommen. Große runde Ohrringe, bernsteinfarben. „Groß, groß, groß!“ antwortet die Designerin denn auch auf die Frage, was den Stil ihres Schmuck-Labels Rio charakterisiert. Ohrringe, bei denen ein Tropfen aus jadegrünem Acryl an goldgefassten Glassteinen baumelt, eine vergoldete Kette mit eckigem Anhänger aus rosé-farbenem Strass, ein doppelreihiges Armband aus großen Kunststoffkugeln, verziert mit üppigem Glitzer-Element – in Barbara Kranz Entwürfen mischt sich Hollywood-Glamour mit dem ironischen Protz der 80er-Jahre, dem augenzwinkernden Mehr-ist-Mehr, dem Madonna mit ihrem Look in dem Film „Desperatly Seeking Susan“ ein Denkmal setzte. Ende der 70er kam die Lübeckerin nach Berlin, angezogen von der Atmosphäre der Freiheit und Kreativität. „Jeder, der eine Idee im Kopf hatte, die er zu Hause nicht durchkriegen konnte, kam damals hier her.“ Um zu malen, Musik zu machen oder Mode. „Wir nannten das nicht Kunst, sondern: machen, was wir wollen.“ Die gelernte Schauwerbegestalterin jobbte hier und da, als Dekorateurin, als Stylistin (auch wenn man das damals noch nicht so nannte) für Film- und Theaterproduktionen, kellnerte im Dschungel, wo damals auch David Bowie und Iggy Pop ein- und ausgingen und arbeitete für die Modedesignerin Claudia Skoda, die sie bis heute bewundert. „Jeder kannte jeden“, erzählt Kranz, „wir waren eine überschaubare Gruppe.“ Die Musiker der englischen Punkband The Vibrators gehörten dazu, mit Gudrun Gut, Mitbegründerin der Einstürzenden Neubauten ist sie bis heute befreundet. Die hat sogar zwei Jahre lang bei der Schmuckproduktion geholfen. „Jeder hat ja alle paar Jahre etwas Neues gemacht“, sagt Kranz, „ich bin eine der wenigen Konstanten. Ich weiß eigentlich auch nicht warum, einen Plan hatte ich jedenfalls nicht.“ Aber eine Begeisterung für Schmuck hatte sie. Dass man mit so kleinen Dingen so große Wirkung erzeugen konnte, hat die Frau mit dem Gespür für Farben und Formen fasziniert. „Mit einer Kette oder einem Armband ist sehr viel zu erleben.“ Anfang der 80er fing sie zunächst mit Haarspangen an, die damals sehr gefragt waren. Sie besorgte sich Material im Metallgroßhandel und fing an zu experimentieren. Draht, Nieten, Lederreste, Aluminiumscheiben oder Gummischlauch – „das fand ich alles rasend toll und habe learning-by-doing die Sachen in die Hand genommen.“ Die Haarspangen kamen gut an, die Leute wollten mehr, Ohrringe waren das nächste. Es lief gut und Kranz entschied, den Schmuck zu ihrem Beruf zu machen. Sie war viel in New York in dieser Zeit und lernte dort Schmuckdesigner kennen, die ihr eine Idee vermittelten, was alles möglich war. Gregg Wolf beispielsweise, heute noch verehrte Underground- Ikone mit Laden im East Village. Außerdem trug sie auf Flohmärkten einen Koffer voll Modeschmuck aus den 40er und 50er-Jahren zusammen. Diese Sammlung war der Grundstock, mit dem sie den Laden in der Bleibtreustraße eröffnete. Ein Jahr hatte sie sich vorgenommen, um festzustellen, ob sich ein Laden mit ihrem Lebensstil und dem Wunsch nach Freiheit verbinden ließe. Aus einem Jahr wurden schnell fünf, sie fand Lieferanten und Produzenten, richtete die Werkstatt ein, stellte Mitarbeiter ein, fuhr auf Messen, zunächst nach München und Düsseldorf, später auch nach London und Paris. Das Geschäft entwickelte sich gut, Rio beliefert weltweit gut 30 Läden und einige Online-Shops und hat einen treuen Kundinnenstamm, darunter Stars und Sternchen, die sich für besondere Anlässe mit dem besonderen Schmuckstück ausstatten. Das Überangebot von Billig-Schmuck, das unter anderem die großen Textilketten auf den Markt bringen, ist keine Konkurrenz für Rio, sagt die Unternehmerin. Ihre Kundinnen, ist sie überzeugt, wollen genau das nicht haben, sondern sind bereit, für eine Kette 300 Euro auszugeben, weil sie individuell und handgefertigt ist. Barbara Kranz ist eine Frau, der man gerne zuhört. Während sie Anekdoten von früher erzählt oder sich Gedanken über die Modeszene von heute macht, raucht sie Zigaretten, denen sie die Filter abbricht und zwischen den Fingern knetet, deren Nägel rot lackiert sind. Die unaufgeregte Gelassenheit derjenigen, die viel erlebt hat und weiß, was sie alles nicht braucht (eine Presseagentur, einen Onlineshop), mischt sich mit einem jugendlichen Enthusiasmus. Sie ist, wie sie selbst von Claudia Skoda sagt „ein unumstößlich zukunftsgeistiger Mensch“. Dem man gerne glaubt, dass sie das Schmuckmachen immer noch liebt. „Ich kann das bis ans Ende meiner Tag machen.“

„I am a constant“ (English Version)
Jewelry designer Barbara Kranz has been running her shop-studio RIO on Bleibtreustrasse for 30 years
The photo from the opening is already slightly yellowed. An old-fashioned counter with a glass top. Bouquets of gladiolas standing in vases on the floor. And Barbara Kranz, who was 27 years old at the time, on August 4, 1984. She wears her lush hair fashionably short so that the earrings stand out well. Large round earrings, amber-colored. „Big, big, big!“ is the designer‘s answer when asked what characterizes the style of her jewelry label Rio. Earrings with a drop of jade-green acrylic dangling from gold-set glass stones, a gold-plated chain with a square pendant made of rose-colored rhinestones, a double-row bracelet made of large plastic balls, decorated with lavish glitter elements – Barbara Kranz‘s designs mix Hollywood glamour with the ironic ostentation of the 80s, the tongue-in-cheek more-is-more attitude that Madonna embodied with her look in the film „Desperately Seeking Susan.“ At the end of the 70s, the Lübeck native came to Berlin, attracted by the atmosphere of freedom and creativity. „Everyone who had an idea in their head that they couldn‘t get through at home came here back then.“ To paint, make music or fashion. „We didn‘t call it art, we just did what we wanted.“ The trained display designer worked here and there, as a decorator, as a stylist (even if it wasn‘t called that back then) for film and theater productions, waited tables in the jungle, where David Bowie and Iggy Pop also came and went, and worked for the fashion designer Claudia Skoda, whom she still admires today. „Everyone knew everyone,“ says Kranz, „we were a manageable group.“ The musicians of the English punk band The Vibrators were part of it, and she is still friends with Gudrun Gut, co-founder of Einstürzende Neubauten. She even helped with the jewelry production for two years. „Everyone did something new every few years,“ says Kranz, I‘m one of the few constants. I don‘t really know why, I certainly didn‘t have a plan.“ But she had a passion for jewelry. The fact that such small things could have such a big impact fascinated the woman with her feeling for colors and shapes. „You can experience a lot with a necklace or a bracelet.“ In the early 80s, she started with hair clips, which were in great demand at the time. She got some material from a metal wholesaler and started experimenting. Wire, rivets, leather scraps, aluminum discs or rubber tubing – „I thought all of that was really great and took the things in my hands, learning by doing.“ The hair clips were well received, people wanted more, earrings were the next thing. Things went well and Kranz decided to make jewelry her profession. She spent a lot of time in New York during this time and met jewelry designers who gave her an idea of what was possible. Gregg Wolf, for example, is an underground icon who is still revered today and has a shop in the East Village. She also collected a suitcase full of costume jewelry from the 40s and 50s at flea markets. This collection was the basis with which she opened the shop on Bleibtreustrasse. She had set herself a year to determine whether a Shop with her lifestyle and desire for freedom. One year quickly turned into five, she found suppliers and producers, set up the workshop, hired employees, traveled to trade fairs, first in Munich and Düsseldorf, later also in London and Paris. The business developed well, Rio supplies a good 30 shops worldwide and some online shops and has a loyal customer base, including stars and starlets who equip themselves with that special piece of jewelry for special occasions. The oversupply of cheap jewelry, which the large textile chains, among others, bring onto the market, is no competition for Rio, says the entrepreneur. Her customers, she is convinced, do not want exactly that, but are prepared to spend 300 euros on a necklace because it is individual and handmade. Barbara Kranz is a woman who is a pleasure to listen to. While she tells anecdotes from the past or thinks about today‘s fashion scene, she smokes cigarettes, breaking off the filters and kneading them between her fingers, whose nails are painted red. The calm serenity of someone who has experienced a lot and knows what she doesn‘t need (a press agency, an online shop) is mixed with youthful enthusiasm. As she herself says of Claudia Skoda, she is an „unquestionably forward-thinking person“. It‘s easy to believe that she still loves making jewelry. „I can do this until the end of my days.“